Sechs Filmcrews können sich über den Deutschen Kurzfilmpreis 2022 freuen. Nominiert waren zwölf Filme, die von den Jurys aus 251 Vorschlägen ausgewählt wurden. In voller Länge sind die ausgezeichneten Kurzfilme im kommenden Jahr auf der Kurzfilmtour in deutschen Kinos zu sehen. Hier finden Sie die Trailer sowie die Jurybegründungen.
Der Deutsche Kurzfilmpreis ist die wichtigste und höchst dotierte Auszeichnung für den Kurzfilm in Deutschland. Kulturstaatsministerin Claudia Roth hat die Auszeichnungen in diesem Jahr im Rahmen einer Preisgala in der Hamburger Kulturfabrik Kampnagel verliehen. Prämiert wurden Filme in fünf Kategorien. Außerdem wurde auch in diesem Jahr ein Sonderpreis vergeben.
Vier Freunde sitzen am Platz der Kulturen in Köln Finkenberg und suchen die richtigen Worte und Satzzeichen für eine SMS, die nie abgeschickt werden soll.
Herstellung: Sophia Groening
Federführung Produktion: Bazon Rosengarth
Regie: Sophia Groening
Drehbuch: Sophia Groening, Jan Eichberg, Jann Bonny
Laufzeit: 8 Minuten
„Vier Jugendliche beim Imbiss. Die Entscheidung ob Pizza oder Döner ist schon schwer, noch schwerer ist es aber, die richtige Wortwahl und Interpunktion für eine SMS an die Angebetete zu finden.
Als Zuschauende sitzen wir gerne heimlich mit am Tisch und wohnen schmunzelnd dieser Unterhaltung bei, die sich so echt und authentisch anfühlt. Die beobachtende, unaufgeregte Kamera fängt auf beeindruckende Weise die jugendliche Rastlosigkeit und gleichzeitige Unentschiedenheit ein. Dabei vertraut der Film auf den nackten Ton und schafft es, die Atmosphäre lebendig abzubilden, ohne die Protagonisten vorzuführen.
„Muss ja nicht sein, dass es heute ist“ ist punktgenau und kompakt. Unter der Regie von Sophia Groening zeigt der Film mit faszinierender Lässigkeit eine Alltagssituation von Jugendlichen auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Zweifel, Unsicherheit, Coolness. Für die Jugendlichen geht es um Alles und Nichts. Immer wieder aufs Neue. Aber es muss ja nicht sein, dass es heute ist!“
Die Jurys werden durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien auf Grundlage von Vorschlägen der Verbände und Einrichtungen des deutschen Films berufen. Lesen Sie hier mehr zu den Jurys 2022.
Eine erfahrene somalische Polizistin begleitet erneut einen jungen Insassen durch das Prozedere des somalischen Justizwesens.
Herstellung: Mo Harawe mit Alexander von Piechowski
Federführung Produktion: Mo Harawe
Regie: Mo Harawe
Drehbuch: Mo Harawe
Laufzeit: 28 Minuten
„Wir folgen einer uniformierten Frau. Gedankenversunken sitzt sie im Auto. Schließlich nimmt sie uns mit in ein Gefängnis. In einer Zelle mit mehreren Männern begrüßt sie Farah. Sie ist nicht die letzte, die ihn fragt, wie es ihm geht und es ist nicht das letzte Mal, dass er fast stoisch „Gut“ antwortet.
Der Film erzählt in ruhigen, langen Einstellungen, scheinbar dokumentarisch, die letzten Stunden im Leben von Farah. Minutiös schildert der Film diese scheinbar nicht enden wollende Zeit und stellt sie gegen alltägliche Beobachtungen. Das macht uns Zuschauer*innen fast zu Komplizen. Wir sehen das brutale, unausweichliche Ende kommen und können nichts tun. Genauso wie die Gefängniswärterin, die ihn bis zur Exekution begleitet.
WILL MY PARENTS COME TO SEE ME widmet sich einem der Grundthemen unserer Zivilisation, der Todesstrafe. Wir, das Publikum, bleiben die ganze Zeit auf Distanz – wie in unserem Alltag. Wir wissen von den Exekutionen, wohnen ihnen aber nicht bei. Mo Harawe ist ein beeindruckender und berührender Film gelungen, der uns lange beschäftigt, dessen Bildkompositionen sich einbrennen und der lange nachhallt.“
Die Jurys werden durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien auf Grundlage von Vorschlägen der Verbände und Einrichtungen des deutschen Films berufen. Lesen Sie hier mehr zu den Jurys 2022.
Ein Rückwärtssalto ist gefährlich. Man kann sich den Hals brechen, den Kopf stoßen oder das Handgelenk verstauchen. Alles nicht schön, deswegen macht es ein Avatar.
Herstellung: Nikita Diakur mit Miyu Productions
Federführung Produktion: Nikita Diakur
Regie: Nikita Diakur
Drehbuch: Nikita Diakur
Laufzeit: 12 Minuten
„In Backflip von Nikita Diakur schauen wir einer Maschine beim Lernen zu – und drücken ihr dabei fest die Daumen. Sprung für Sprung, Scheitern um Scheitern nähert sich Diakurs Avatar dem selbsterklärten Ziel Rückwärts-Salto. Das konzeptuell starre quasi-wissenschaftliche Framework könnte ein Selbstläufer sein, bei dem sich der Filmemacher nur noch zurückzulehnen braucht, so wie auch das Publikum. Doch Nikita Diakur und/oder sein Avatar stellen gezielt Weichen und setzen Pointen, die alternierend Befremden und Verzückung auslösen. Am Ende bestätigt sich unsere Vermutung, dass die künstliche Intelligenz willensstark genug ist, um ihr Ziel zu erreichen. In das Erfolgserlebnis mischt sich leichtes Unbehagen ob des banalen Credos einer jeden K.I.: Übung macht den Meister.“
Die Jurys werden durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien auf Grundlage von Vorschlägen der Verbände und Einrichtungen des deutschen Films berufen. Lesen Sie hier mehr zu den Jurys 2022.
Ausgehend von einem Bericht über eine nie aufgeführte Theaterinszenierung von Mauriers Geschichte "Die Vögel", die in einer psychiatrischen Klinik in Norditalien aufgeführt werden sollte, werden die Rollen umgekehrt: Die menschlichen Figuren werden zu Vögeln und die Vogelprotagonisten zu Menschen.
Herstellung: Gernot Wieland mit Fluentum gGmbH (Markus Hannebauer) und Phileas (Jasper Sharp)
Federführung Produktion: Gernot Wieland
Regie: Gernot Wieland
Drehbuch: Gernot Wieland
Laufzeit: 14 Minuten
„Das Außen ist wie ein Raum, den ich nicht betreten kann.“ Gernot Wieland, der einen Blick auf die eigene Kindheit wirft und feststellt, egal wie porös das trennende Membran sich gibt, wie durchlässig das Glas der Fensterscheibe die Landschaft dahinter erscheinen lässt, sie bleibt auf Distanz. Von Innen nach Außen führt keine Brücke. Die Topologie der unsichtbaren Räume, in die wir hinein geboren werden, ist zugleich unbewusst und starr. Der Zwang zur Konformität, der sich wie ein Schatten ablegt und über Lebensentwürfe, Anschauungen und Zugehörigkeiten entscheidet, ist bedrückend.
Bird in Italian is Uccello ist eine mäandernde,poetische Spurensuche nach Souveränität in den sozialpsychologischen Strukturen, die Gesellschaften definieren. „Ich betrachte die Reflexionen meiner Selbst im Glas des Autofensters. Wenn es meine Sprache geben würde, würde ich sagen: Abwesenheit – es ist jene Abwesenheit, die zu mir spricht.“
Die Jurys werden durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien auf Grundlage von Vorschlägen der Verbände und Einrichtungen des deutschen Films berufen. Lesen Sie hier mehr zu den Jurys 2022.
Die Welt ist ja nicht immer schön, sagt meine Mutter. Mein Kind wacht auf. Meine Eltern lächeln sich gegenseitig an und erzählen: das Haus, in dem meine Mutter nie leben wollte, die psychische Krankheit meines Onkels, die meine Großeltern nie sehen wollten, der Atomkrieg, der nie kam. Sie sprechen vom Unverwirklichten. Sich sterilisieren zu lassen, sich das Leben zu nehmen, zusammenzupacken und zu gehen.
Herstellung: Marian Mayland
Federführung Produktion: Marian Mayland
Regie: Marian Mayland
Laufzeit: 27 Minuten
„Die Mutter wollte sich in jungen Jahren sterilisieren lassen, die Oma vermutete eine Abtreibung, der Onkel war psychisch krank, die Oma vermutlich auch, der Vater plante einen Selbstmord und der Familienbetrieb, die Gärtnerei und das Blumengeschäft, ging bankrott.
Der Titel des Films bezieht sich somit zwar auch auf die Tätigkeit der Pflanzenzucht des Familienbetriebs, aber vielmehr auf die Frage, in wie weit Erfahrungen, im speziellen familiäre Prägungen, nach der Theorie von Jean-Babtiste de Lamarck vererbt werden können. Nach einer über hundert Jahre langen Ablehnung der Vererbungslehre von Lamarck zugunsten der Evolutionstheorie von Darwin basierend auf Genetik, ist heute durch die Epigenetik auch eine Vererbung von erworbenen Eigenschaften, wie etwa durch Traumata, wissenschaftlich belegt. Mayland geht diesen Untiefen in der Familie sehr behutsam auf den Grund ohne sich selbst außen vor zu lassen, wodurch eine große Nähe zu den Familienmitgliedern entsteht.“
Die Jurys werden durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien auf Grundlage von Vorschlägen der Verbände und Einrichtungen des deutschen Films berufen. Lesen Sie hier mehr zu den Jurys 2022.
Herstellung: Mónica Martins Nunes mit Pedro Fernandes Duarte
Federführung Produktion: Mónica Martins Nunes
Regie: Mónica Martins Nunes
„Der Film entführt uns in die Landschaft Serra de Serpa der südportugiesischen Alentejo Region. Die dort herrschende Trockenheit ist im flirrenden Gelb allgegenwärtig. Das Leben der zumeist älteren, noch verbliebenen Bewohner ist geprägt vom Bearbeiten und Ernten ihres Stückes Land, sie schälen die Korkeichen, halten Schafe und Rinder, es wird geschlachtet, geschmiedet, gebacken und gefeiert. Immer wieder rücken Porträts der Menschen in den Fokus, aber auch die sie umgebenden Tiere werden als gleichwertige Geschöpfe wahrgenommen. Während also die Vögel auf den Köpfen tanzen oder Flöhe aus dem Hundefell entfernt werden, ertönen aus den Mündern der Menschen Gesänge und Gedichte, denn die Verse hängen dort in den Bäumen, wie es an einer Stelle heißt. Sie singen vom Haus, das zusammenfällt und wieder zur Erde wird, aus der es erbaut wurde oder der dichtende Melonenverkäufer sinniert darüber, wie es wäre, ein Hund zu sein.
Der Film SORTES von Mónica Martins Nunes zeichnet sich aus durch eine spürbare Vertrautheit zu seinen Protagonisten und einer von leichter Hand selbst geführten Kamera, die lichtdurchflutete Bilder von großer Sinnlichkeit und Ruhe kreiert, bis in die Dämmerung hinein. Eine unaufdringlich wohlpunktierte Klang- und Bildmontage führt im Finale zu einer brillant komponierten Verschmelzung von Zeit- und Bildräumen, in der sich die menschliche Behausung wieder zurück in Natur verwandelt. So wird der Film SORTES selbst zu einem wunderbaren, melancholischen Gedicht, das den Verlust betrauert und das Glück feiert.“
Die Jurys werden durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien auf Grundlage von Vorschlägen der Verbände und Einrichtungen des deutschen Films berufen. Lesen Sie hier mehr zu den Jurys 2022.