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Ein Ort für Einheit in Vielfalt

Thema: Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

Sonntag, 22. Oktober 2023

In den kommenden Jahren soll die Paulskirche in Frankfurt am Main zu einem nationalen Erinnerungs- und Lernort ausgebaut werden. In unmittelbarer Nähe des denkmalgeschützten Gebäudes soll außerdem ein Haus der Demokratie mit zusätzlichen Räumlichkeiten für die politisch-historische Bildungsarbeit entstehen. In ihrem Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung betont Kulturstaatsministerin Roth, dass sich dadurch für Frankfurt am Main die einzigartige Chance ergibt, zu „Deutschlands ‚Stadt der Demokratie‘ zu werden“.

Porträt Claudia Roth in ihrem Büro im Bundeskanzleramt

Kulturstaatsministerin Roth: „Das Haus der Demokratie bei der Paulskirche bringt für Frankfurt enorme Chancen“.

Fragt man Menschen in Deutschland, woran sie bei der Stadt Frankfurt am Main als Erstes denken, dann fallen den meisten wahrscheinlich der Flughafen und der Finanzplatz, Apfelwein und die F.A.Z. ein. Dass Frankfurt aber auch die Wiege der parlamentarischen Demokratie in Deutschland war, ist im öffentlichen Bewusstsein sehr viel weniger präsent.

Jetzt gibt es die Chance, das zu ändern. Denn der Bund, die Stadt und das Land Hessen wollen gemeinsam die notwendige Sanierung der Paulskirche nutzen, um sie zu einem zeitgemäßen Erinnerungs-, Gedenk- und Lernort weiterzuentwickeln. Zudem soll der Paulskirche in unmittelbarer Nähe ein Haus der Demokratie zur Seite gestellt werden. Zusammen soll dieses Ensemble weit über die Stadt hinaus ausstrahlen und zu einem Anziehungspunkt für Menschen aus der ganzen Welt werden. Unser Ziel ist ein Ort, an dem sich Demokratie gleichermaßen erfahren und wertschätzen lässt.

Durch die inhaltliche Weiterentwicklung der Paulskirche, das Haus der Demokratie und die neue Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte ergibt sich für Frankfurt die einzigartige Chance, zu Deutschlands „Stadt der Demokratie“ zu werden. Zumindest ein Stück weit und unter völlig veränderten Vorzeichen könnte sie damit an die herausragende politische Rolle anknüpfen, die sie in Deutschland für viele Jahrhunderte bis zur Eroberung durch Preußen im Jahr 1866 innehatte.

Ich habe immer wieder gesagt, dass ich mich als Staatsministerin für die Kultur der Demokratie verstehe. Deshalb liegt mir der 18. Mai 1848 so sehr am Herzen – der Tag als in der Paulskirche zum ersten Mal in Deutschland frei gewählte Abgeordnete zusammenkamen, um eine demokratische Verfassung für einen deutschen Nationalstaat zu entwerfen. Einheit und Freiheit, das waren die beiden großen Themen der Revolution von 1848/49. Und beides zusammenzubringen war der Auftrag, mit dem die Abgeordneten der Nationalversammlung in die Frankfurter Paulskirche tagten. Ihr klares Ziel war es, die erste Verfassung zu erkämpfen – für das Recht, für die Selbstbestimmung, für die Demokratie.

Das ist ein Auftrag, der sich seither jeder Generation von Demokratinnen und Demokraten immer wieder von Neuem stellt. Was heißt Einheit und Freiheit heute? In unserer modernen Einwanderungsgesellschaft kann Einheit nach meiner Überzeugung nur Einheit in Vielfalt heißen – dass wir Bürgerinnen und Bürger unterschiedlicher Herkunft, Kulturen, Religionen, Erfahrungen und Biografien ermutigen, sich einzubringen in unser demokratisches Gemeinwesen zum Wohle von uns allen. Im Haus der Demokratie soll sich deshalb auch widerspiegeln, dass Deutschland immer vielfältiger und immer bunter wird. Eine sich wandelnde Gesellschaft stellt neue Fragen an die Geschichte. Und wir brauchen Orte der Diskussion und des Dialogs, wo wir solche Fragen aufgreifen und diskutieren können. Genau ein solcher Ort soll das Haus der Demokratie sein.

Wie ist nun der aktuelle Stand bei unserem Vorhaben? Im April dieses Jahres hat die eingesetzte Expertenkommission ihre Empfehlungen für die Paulskirche und das Haus der Demokratie überreicht. Diese Empfehlungen von zwölf Expertinnen und Experten sind eine sehr gute Grundlage für das weitere Vorgehen. Zum Haus der Demokratie heißt es in dem Bericht, dass es ein Ort werden solle „für den Austausch über aktuelle politische Themen, ein Ort für Diskussion und Partizipation“. Mehr noch als im Großen Saal der Paulskirche sollen hier Programme unterschiedlichster Art möglich sein. Das können nach den Empfehlungen der Kommission „Diskussionsveranstaltungen, Workshops oder Kunstprojekte sein, Lesungen und Wettbewerbe, Filmfestivals und Fotowerkstätten und andere, noch zu entwickelnde, experimentelle Formate“.

Es ist mir bewusst, dass die von der Kommission empfohlene Bebauung des Paulsplatzes mit dem Haus der Demokratie in der Stadt sehr kontrovers diskutiert wird. Die Entscheidung dazu kann allein in Frankfurt fallen. Unverzichtbar ist aber gleichwohl, dass dieses Haus in unmittelbarem räumlichem Bezug zur Paulskirche steht und architektonisch einen offenen, einladenden Charakter hat. Ich bin überzeugt, dass sich mit stadtplanerischer Phantasie, architektonischer Kreativität und politischem Mut Lösungen finden lassen, die auch in der Frankfurter Stadtgesellschaft auf breite Zustimmung stoßen.

Idealerweise werden Paulskirche, Haus der Demokratie und Paulsplatz zu einer neuen Einheit zusammenwachsen. Als Vorbild dafür hat die Expertenkommission auch ein Beispiel genannt, das nicht nur 175 Jahre zurückreicht wie die Revolution von 1848, sondern 2500 Jahre bis zu den Ursprüngen der Demokratie überhaupt: dem Marktplatz im antiken Athen. So wie dort würden dann auch im neuen Haus der Demokratie „Gespräche geführt, Ideen ausprobiert, Standpunkte geschärft und Argumente ausgetauscht: über Demokratie, über das Zusammenleben der Menschen, über Entwürfe für morgen“, wie es in den Empfehlungen der Kommission heißt.

Unser gemeinsames Vorhaben ist auch deshalb so wichtig, weil sich die Geschichte unserer Demokratie ja nicht auf den parlamentarisch-politischen Raum beschränkt, sondern viele Bereiche des gesellschaftlichen Lebens umfasst. Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit, sondern eine historische Errungenschaft, kein sicherer Besitz, sondern stetes Bemühen. Sie muss im Alltag der Menschen gestaltet, gelebt und weiterentwickelt werden. Das gilt gerade in unserer Zeit, in der Kräfte von innen und außen darauf abzielen, unsere plurale, freiheitlich demokratische Grundordnung zu destabilisieren.

Gerade heute gilt: Wir alle müssen demokratiegefährdenden Strömungen entgegentreten und unsere freiheitliche demokratische Grundordnung verteidigen. Die Demokratie will die Kontroverse, und sie braucht den Kompromiss. So wird sie erlebbar, so wird sie erfahrbar. Nur auf diese Weise können wir sie als Gesellschaft lebendig halten, sie erneuern und jeden Tag mit Kraft, mit Mut und mit Überzeugung gegen ihre Feinde verteidigen.

Dabei ist die Kenntnis der Geschichte unserer Demokratie von entscheidender Bedeutung. Der Blick zurück hat dabei doppelte Funktion: Er zeigt zum einen, dass Demokratien immer wieder Gefährdungen ausgesetzt sind und scheitern können. Aber er zeigt auch, dass einzelne Menschen etwas bewirken können und Fortschritt möglich ist – auch und gerade im Widerstand gegen Unrechtssysteme. Die Beschäftigung mit der Geschichte der Demokratie kann daher wichtige Impulse setzen, sich im demokratischen Miteinander einzubringen und unser gesellschaftliches Zusammenleben aktiv zu gestalten.

Wenige Orte in Deutschland sind dafür so geeignet wie die Paulskirche, wo auf besonders intensive Weise sichtbar wird, dass die deutsche Demokratiegeschichte von positiven Erfahrungen ebenso geprägt ist wie von katastrophalen Brüchen und Verwerfungen. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass das künftige Haus der Demokratie in unmittelbarer Nähe der Paulskirche angesiedelt ist.

Es ist jetzt an der Stadt Frankfurt, auf Grundlage der Empfehlungen der Expertenkommission und in enger Abstimmung mit Land und Bund die nächsten Schritte zu gehen. Dies betrifft sowohl die Standortfrage wie auch das Nutzungskonzept und den Raumbedarf für das Haus der Demokratie, womit dann auch eine realistische Kostenplanung möglich sein wird. Ich freue mich darauf, in den kommenden Jahren zusammen mit der Stadt und dem Land Hessen ein Projekt weiterzuentwickeln, das der demokratischen Tradition Frankfurts neue Strahlkraft verleihen und die Demokratie in Deutschland nachhaltig stärken wird.

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